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es versucht, aus dem Gewebe der ethischen und politischen Ideen der neueren Zeit die einzelnen Fäden zu lösen und bis zu ihrem Anfange zu verfolgen, so sieht man erstaunt, dafs gerade diejenigen Vorstellungen und Begriffe, welche am gewaltigsten auf die Entwicklung der modernen Menschheit eingewirkt haben, dem Altertum entstammen. Es sind einige Grundgedanken des Stoicismus und Epikureismus, zweier Systeme, welche nicht der klassischen Zeit des Griechentums angehören, sondern sein Greisenalter und in der Folge auch dasjenige Roms begleiten. Sie spiegeln eine Zeit philosophisch wieder, wo das nationale, den Einzelwillen beherrschende Staatsleben entkräftet war, wo grofse Eroberer die Völker des Ostens und Westens in ungeheuren Reichen vereinigten, wo das Interesse am Gemeinwesen abgenommen hatte, wo die Volksreligion auf die Gebildeten keinen Einflußs mehr besafs und nun das Individuum um so ungebundener in den Vordergrund dor Betrachtung und des Lebens trat1. Je nachdem seine Sehnsucht nach einem ruhigen Dasein, fern von der Welt, in heiterer Gesellschaft mit gleichgestimmten Freunden stand oder, alle Schranken von Geschlecht, Stand, Rasse und Volk überspringend, auf die erdumspannende Gemeinschaft aller Menschenbrüder in einem staatenlosen Zustande gerichtet war, boten sich ihm der Epikureismus oder der Stoicismus als Führer in das Land seiner Wünsche an.

Wie sehr diese Systeme voneinander unterschieden sind, wie sehr sich ihre Anhänger leidenschaftlich bekämpft haben, die Lehrgebäude sind nicht nur auf demselben Boden staatlicher und gesellschaftlicher Zustände emporgewachsen, sie zeigen auch noch andere gemeinsame Grundzüge als den ethischen und poli- / tischen Individualismus: beide tragen einen empiristischen und

1 Siehe die geistvollen Erörterungen von Zeller, Die Philosophie der Griechen III, 1 p. 12 ff. 3. A. 1880.

Forschungen (43) X 2.

Hasbach.

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sensualistischen Charakter. So ist das sinkende Altertum imstande, der aufstrebenden neuern Zeit durch beide philosophische Systeme seinen Individualismus, Empirismus, Sensualismus zu übermitteln.

Doch kommt es uns vornehmlich auf die Erkenntnis der Verschiedenheit ihrer Lehren von Recht und Staat an. Diese sollen daher im folgenden dargestellt werden.

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In der Philosophie des griechischen Altertums ist es fast von Anfang an ein Gegenstand der Erörterung gewesen, ob das Recht in der Natur begründet sei oder durch Menschensatzung entstehe. Heben wir es hervor: griechische Denker haben den Begriff des Naturrechtes zuerst ausgeprägt.

Seitdem Heraklit in volltönenden Worten verkündete, dafs alle menschlichen Gesetze von dem einen göttlichen gespeist würden und Archelaos dem dunklen Epheser entgegenhielt, das Gerechte beruhe οὐ φύσει ἀλλὰ νόμῳ: wogte der Kampf der Geister immer weiter, bis er die Halle Zenos und den Garten Epikurs erfüllte. Aber auch hier löste man das Problem nicht endgültig. Vielleicht wurden die alten Doctrinen nicht einmal mit der Umsicht und Gründlichkeit des Aristoteles, mit der geistvollen Keckheit und Feinheit der Sophisten vorgetragen; aber sie erschienen abgeklärter und im engeren Zusammenhange mit der gesamten Weltanschauung.

Allein wenn dies auch nicht der Fall wäre, würden sie schon deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen, weil das moderne Naturrecht in einem hohen, bisher gar nicht gewürdigten Grade von der Philosophie der Stoiker und Epikureer befruchtet worden ist.

Die Achse der stoischen Ethik ist die feurige Vernunft, Weltvernunft, Weltseele, welche den gesamten Stoff durchdringt. Je nachdem die stoffliche oder geistige Seite dieses Begriffes hervorgehoben wird, trägt die feurige Vernunft die Bezeichnung Feuer, Hauch (Pneuma) oder allgemeines Gesetz, Natur, Vorsehung. Doch erweist sich der Gegensatz von Gottheit und Materie als,,kein ursprünglicher und letzter: nach stoischer Lehre haben sich alle besonderen Stoffe erst im Laufe der Zeit aus

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dem Urfeuer oder der Gottheit entwickelt, und sie werden sich am Ende jeder Weltperiode wieder in dasselbe auflösen“. Die Gottheit ist,,ebenso als der Urstoff wie als die Urkraft zu bezeichnen.... das Urfeuer, welches Gott und die Materie als seine Elemente in sich trägt. ... die allgemeine Substanz. welche daher, in ihrer reinen Gestalt oder als Gott betrachtet, bald alles, bald nur einen Teil des Wirklichen umfasst" 1.

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Diese Grundgedanken enthalten erstens die Lehre von einer strengen Gesetzmässigkeit im Weltganzen. „Die unbedingte Abhängigkeit aller Dinge von dem allgemeinen Gesetz und dem Lauf des Weltganzen, das ist überhaupt der leitende Gesichtspunkt für die stoische Weltansicht" 2. Aus ihnen folgt zweitens, dafs Naturgesetz und Sittengesetz ihrem Ursprung und Wesen nach identisch sind.,,Dieser vóuos ist Gesetz alles Seienden.... und Gesetz ebensowohl des φυσικόν und λογικόν, wie des ἠθικόν ... So wohnt das ethische Gesetz der Natur inne als einige und absolute Norm, welche, erhaben über Raum und Zeit, unabhängig von menschlicher Satzung, gleichmässig allen Menschen die Regel des Guten und Bösen ist" 3. Sie umschliefsen drittens den Satz, der hierin schon ausgesprochen ist, aber noch einer besonderen Betonung bedarf, dafs das Gesetz objektiv auch aufserhalb des Menschen existiert. „Sofern nun das Gute in der allgemeinen Weltordnung begründet ist, welcher der einzelne sich zu unterwerfen hat, tritt es dem Menschen als Gesetz gegenüber." Dieser Gesichtspunkt ist,,von den Stoikern mit besonderer Vorliebe verfolgt worden" 4.

Da nun der Mensch Teil und Glied des vernünftigen Universums, seine Seele ein Ausflufs der Weltseele ist, so tritt jenes Gesetz zugleich als Gesetz seiner eigenen Natur auf, und er vermag es zu erkennen.,,Indem dieses göttliche Gesetz von Menschen erkannt und anerkannt wird, entsteht das menschliche“ 5.

Verweilen wir bei diesem Punkte noch einen Augenblick. ,,Der allgemeine Grundtrieb aller Wesen ist der Selbsterhaltungstrieb und die Selbstliebe. Hieraus folgt unmittelbar, dafs jedes Wesen nach dem strebt, und dafs für jedes dasjenige einen Wert hat, was seiner Natur gemäss ist . . . Naturgemäfs kann aber für den einzelnen immer nur das sein, was mit dem Gang und Gesetz des Weltganzen oder mit der allgemeinen Weltvernunft übereinstimmt, und für das bewusste und vernünftige Wesen nur dasjenige, was aus der Erkenntnis dieses allgemeinen Gesetzes und vernünftiger Einsicht hervorgeht.. . Die Vernünftigkeit des Lebens, die Übereinstimmung mit der allgemeinen Weltord

1 Zeller a. a. O. p. 146.

2 Zeller a. a. O. p. 157.

3 M. Voigt, Die Lehre vom Jus naturale, aequum et bonum und jus gentium der Römer. 1856. I, p. 135.

4 Zeller a. a. O. p. 222.

5 Zeller a. a. O.

nung, ist mit einem Worte die Tugend"1 Daher entspricht das Gute einem natürlichen Triebe des Menschen, und er muss sich sittlich verpflichtet fühlen, wenn er sich vernünftig fühlt2.

Niemals im ganzen Altertum sind das vernünftige Denken und Wollen, die Herrschaft der Natur und des Gesetzes, die wesentliche Harmonie von Natur und Vernunft so hoch emporgehoben, mit solchem Nachdruck behauptet worden, wie von den Stoikern. Erst im 18. Jahrhundert begegnen wir einer ähnlichen Verherrlichung von Natur und Vernunft. Sehen wir nun, welche politischen Ideale diese Lehren erzeugten.

Da nur das vernünftige Denken und Wollen einen unbedingten Wert hat, so ist damit die Anerkennung einer unlöslichen Gemeinschaft aller Vernunftwesen gegeben. Ja, die Stoiker nehmen einen Trieb nach Gemeinschaft zwischen den einzelnen Vernunftwesen an. Alle Menschen stehen unter der Vernunft; sie alle haben mithin ein Recht und Gesetz, und sie wirken, sofern sie diesem Gesetze folgen, immer für das Ganze : man kann nicht für sich leben, ohne für andere zu leben . . . . so sind sie für einander da; ihre Gemeinschaft ist daher das unmittelbarste Gebot der Natur." 3 Die Stoiker leiten also die Gemeinschaft aus dem Naturgesetze her, nicht das Naturgesetz aus der Gemeinschaft. Dies ist zur Charakterisierung der stoischen oineiwoię wichtig. Es wird nun verständlich, dass Mark Aurel so weit geht, den Trieb nach Gemeinschaft als den Grundtrieb des Menschen anzusehen.

Hieraus folgte nun weiter: „Wenn die menschliche Gemeinschaft. . . . nur auf der Gleichheit der Vernunft in den einzelnen beruht, so haben wir keinen Grund, diese Gemeinschaft auf ein Volk zu beschränken, oder uns dem einen verwandter zu fühlen als dem anderen; alle Menschen stehen sich, abgesehen von dem, was sie selbst aus sich gemacht haben, gleich nahe, da alle gleichmässig an der Vernunft teil haben, alle sind Glieder eines Leibes; denn dieselbe Natur hat sie aus einerlei Stoff für die gleiche Bestimmung gebildet, oder, wie dies Epiktet religiös ausdrückt, alle sind Brüder: denn alle beten in gleicher Weise zum Vater". Zum erstenmale tritt der Kosmopolitismus mit gröfster Entschiedenheit im Gewande einer philosophischen Doktrin auf. Patriam meam esse mundum sciam et praesides Deos: das ist nach den Worten Epiktets diese Weltanschauung in knappster Form. Wie das Menschliche in diesem Systeme leicht in das Natürliche hinüberzittert, so sehen die Stoiker nach Plutarch in dem Weltganzen ebenfalls einen Staat. Der Behauptung: τὸν κοσμόν εἶναι πόλιν καὶ πολίτας τοὺς ἀστέρας fehlt es nicht an dichterischer Erhabenheit.

1 Zeller, p. 208 fg.
2 Zeller, p. 222, 223.
3 Zeller, p. 286.
4 Zeller, p. 299.

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